Vom Kampf gegen den Präventionsstaat
Unter dem Motto „Überwacht die Überwacher“ decken Einzelne und auch Organisationen die Gerichte in ganz Europa mit Klagen gegen den Überwachungsstaat ein. Der Grund: Nach Snowdens Enthüllungen wurden illegale Überwachungen nicht etwa eingestellt, sondern kurzerhand legalisiert.
Kritiker fürchten zu Recht, dass sich die Länder Europas Schritt für Schritt zu Präventionsstaaten entwickeln. In den meisten Regierungen wird inzwischen offen über „Sicherungshaft“ diskutiert. Was schlicht und einfach bedeutet, dass Menschen inhaftiert werden können, weil die Möglichkeit besteht, dass sie ein Verbrechen begehen. Und wenn diese Tür erst mal einen Spalt weit offensteht, ist noch viel mehr möglich.
Was ist eigentlich ein Präventionsstaat?
Den Begriff Überwachungsstaat haben wir alle schon einmal gehört. Mit flächendeckender Überwachung sollen Verbrechen verhindert oder wenigstens schnell aufgeklärt werden. Auf den ersten Blick klingt das ja gar nicht so schlecht. Wäre da nicht die Sache mit der Freiheit. Denn Überwachung und Freiheit schließen einander aus. Natürlich gibt es die üblichen Totschlag-Argumente: Sicherheit ist wichtiger als Freiheit; wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten usw.
Was leider oft übersehen wird: Der Schritt vom Überwachungs- zum Präventionsstaat ist nur ein winzig kleiner. Ganz plötzlich stehen alle Bürger unter Generalverdacht. Waren es anfangs nur Randgruppen, die vielleicht als politisches Feindbild herhalten mussten, weitet sich die Gruppe der generell Verdächtigen Stück für Stück aus. Vor allem auf jene, die sich gegen die permanente Überwachung wehren wollen. Nicht nur der Staat ist misstrauisch, auch ganz normale Menschen von nebenan beäugen plötzlich überkritisch ihr Umfeld. Denn Angst und Misstrauen sind höchst ansteckend. Und vergiften das gesellschaftliche Klima.
Und plötzlich ist es soweit. Der Präventionsstaat ist installiert. Jeder Mensch ist von vornherein verdächtig. Und wer auffällt, kann im Präventionsstaat schnell präventiv hinter Schwedischen Gardinen landen. Der Großteil der Gesellschaft wird zu diesem Zeitpunkt nichts mehr dagegen unternehmen. Denn das Misstrauen ist groß genug – und man hält sich an das Sprichwort: „Wo Rauch ist, ist auch Feuer“.
Wir alle sind der Staat – wir haben ein Recht auf Freiheit
Die wichtigste Frage der Bewegung gegen Überwachung ist folgende: Wer überwacht die Überwacher? Wenn wir alle der Staat sind, wer hat dann das Recht, uns rund um die Uhr zu überwachen? Und jede unserer Bewegungen argwöhnisch zu beäugen, ob wir uns vielleicht „abnormal“ benehmen? Und uns deshalb vorsorglich ins Gefängnis stecken?
Die gute Nachricht: In ganz Europa gibt es immer mehr Menschen, die sich gegen diese Entwicklung wehren. Und auch vor Gericht ziehen. Allein in Deutschland gab es 2019 acht Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Darunter Klagen gegen die Vorratsdatenspeicherung (die eigentlich laut Europäischem Gerichtshof ohnehin illegal ist), gegen die Beschränkungen des Briefgeheimnisses, gegen den Staatstrojaner usw.
Eine Klagewelle zieht sich durch Europa
Dass es nicht mehr Klagen gibt, liegt vor allem an der geänderten Gesetzeslage. Denn als Snwodens Enthüllungen veröffentlicht wurden, änderten die Regierungen kurzerhand das geltende Recht. Statt sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, dass einzelne Menschen – sogar Journalisten und Rechtsanwälte – hemmungslos bespitzelt werden, änderte man die Gesetze. Und so wurde aus Unrecht „Recht“. Aber auch dagegen wird geklagt. Eine Gruppe von Journalisten wehrt sich in Karlsruhe gegen diese Gesetze. Unterstütz wird sie von verschiedenen Journalistenverbänden und der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Diese Klagen sind wichtig. Denn es geht nicht nur um unsere Freiheit. Nein, es geht auch darum, dass es für die Überwacher eigentlich keine Aufsicht gibt. Weder eine nennenswerte parlamentarische Kontrolle noch eine übergeordnete Aufsichtsbehörde, die diese Bezeichnung auch verdienen würde.
Das Jahr 2020 verspricht auf jeden Fall, spannend zu werden. Es werden zahlreiche Trojaner-Klagen erwartet, auch solche gegen die neuen Landespolizeigesetze wie zum Beispiel gegen das Bayerische Polizeiaufgabengesetz und das Badem-Württembergische Polizeigesetz.
Zivilcourage ist gefragt
Können wir den Präventionsstaat noch verhindern? Grundsätzlich ja. Aber dafür müssen wir etwas tun. Und die Kritiker stärken, statt uns vom staatlich verordneten Misstrauen anstecken zu lassen.
Grundsätzlich ist jeder Schritt, der dir mehr Privatsphäre bringt, ein guter Schritt und entmachtet die Überwacher ein Stück weit. Deshalb: Verwende verschlüsselte Messenger, sende E-Mails wenn möglich verschlüsselt, schmeiß Alexa und Co in den Müll und such mit Startpage!
Mehr über die europäische Klagewelle gegen Überwachung findest du in diesem Artikel von Heise.